NEUER STACHUS: EIN MAIBAUM SO HOCH WIE DER EIFFELTURM

MÜNCHEN - Gelangweilt zappe ich durch deutsche Fernsehkanäle. „Sexismus „läuft auf allen Programmen, als gäbe es keine anderen Probleme. Moderatorinnen ahlen sich in ihrem Element. Durch das Festival der Wortabschneider und Dazwischenquatscher muss ich wohl eingeschlafen sein. Ich sehe mit einem Mal das Karlstor, unser Münchner Karlstor in weißem Licht. Autos durchfahren es und durchqueren den brodelnden Stachus wie er früher einmal war, ein weltstädtischer Kreisverkehr a la Etoile, der nicht durch eine sehr dörfliche Entscheidung für zwei Trambahnumkehrschleifen demoliert wurde. Diese Unsinnigkeit wäre geradeso wie wenn man auf dem „Picadilly Circus" von London eine Odelgrube errichten würde. Was ist plötzlich los in München, der leider nicht schönsten Stadt Deutschland, wie es einmal Karl Valentin sagte, der schönsten Stadt der Welt? Das Stadtbild pulsiert wie nie.

Mein Blick richtet sich auf das Pini-Haus, das, ganz ulkig, ungewohnt niedrig aussieht, weil daneben aus dem ehemaligen "Königshof" ein neues Wahrzeichen , der größte Maibaum der Erde ,als Büro- und Hotel-Tower ragt, der über allem thront wie der Eiffelturm. Zuerst haben sich die Leute ebenso aufgeregt wie damals, als das eiserne Monster an der Seine errichtet wurde. Jetzt finden es gut und nicht mehr wegdenkbar. Die unteren Etagen zieren historische Fassaden - der Nachbarschaft des Justizgebäudes angepasst. Der Streit-Tempel dient längst als Bilder-Schloss wie das Grand Palais in Paris ,dem großen Museum an den Champs Elysees. Die Münchner Justiz ist , wenn auch unter Protest, umgezogen in einen seelenlosen Containerbau am Stadtrand, der sich für Prozeßhansl viel besser eignet. Der Palast am Stachus mit seinem rieisgen Glasdach und voluminösen Entree nebst den großen, lichtdurchfluteten Gerichtssälen zeigt sich ideal für eine weitere Pinakothek. Der Bau ist viel authentischer als das kühle Neugebilde der "Modernen". Es sieht weltstädtisch gut aus am Stachus. Von weitem kann man an der Fassade des ehemaligen Justizpalastes auf zwei Transparenten in großen Lettern lesen: „P I C A S S O - das Lebenswerk".

Die Sonnenstraße liegt prall in der Sonne als fetter Pracht-Boulevard. Es gibt keine Straßenbahnen mehr, geschweige den kostspieligen Schienen, die immer wieder ausgewechselt werden müssen. Ein Passant erzählt, der meine Verwunderung im Gesicht gelesen hat, das auf den Strecken, wo keine U-oder S-Bahn führen, würden leise Glieder-Elektrobusse mit Oberleitung (von der früheren Tram) im Einsatz sein. Nur vom Max-Weber-Platz bis zum Hauptbahnhof zirkuliere im Abstand von zwei Minuten historische Trams für Touristen. Inmitten der sechs breiten Fahrbahnspuren der Sonnenstraße lädt ein saftiger Grünstreifen zum Flanieren ein. Es ist ein Boulevard de Luxe. Bunt gewürfelt säumen Boutiquen und Cafes die weißblauen Champs Elysees. Sie sind überfüllt mit Menschen mit glücklichen Gesichtern, darunter natürlich viele Japaner mit Fotoapparaten, die unsere Stadt ins Herz geschlossen haben müssen. Man kann bis zum Sendlinger Tor Platz promenieren, wo direkt vor der „Achterbahn" (so heißt die Kirche für Insider) in einem imposanten Kreisverkehr die Autos ohne Ampeln kreisen und in der Mitte speien aus der Brunnenanlage acht stolze Fontänen . Die Straße durch das Sendlinger Tor ist geöffnet und man kann in einer Richtung fahren bis hinunter zum Viktualienmarkt, entlang am Alten Rathaus zur Maximilian- und Ludwigstraße.

Mir fällt ein Stein vom Herzen, dass auf unserer Weltstrasse, der Maxistreet, dem elegantesten Shopping-Boulevard, der Jahre lang zur Sackgasse dank stoischer Stadtpolitik vergammelte, wieder freie Fahrt gilt. Ab dem Nationaltheater und der nagelneuen Residenzpost ist die Fahrbahn von ihrer unsäglichen Demütigung befreit. Undenkbar, den Rodeo Drive in Beverly Hills, die Champs Elysees in Paris oder den Kudamm in Berlin zu einer Sackgasse abzuwürgen. Der Hotel-Chef  vom Hotel „Vier Jahreszeiten" atmet auf. Endlich ist der Weltstadt-Drive wieder da, vom Landtag herunter, vorbei an den internationalen Boutiquen, Restaurants und Hotels und weggewischt der Fahrradweg-Verhau vor dem Zechbauer-Gebäude. Es gab keinen hässlicheren Opernplatz wie den des Münchner Nationaltheaters ,dessen Stolperstein-Pflaster nun glücklicherweise für sündteuere Louboutin-High Heels flurbereinigt worden ist. Vor mir öffnet sich ein Sexy-München, die Ladys schwenkten glücklich ihre Tragtüten mit „Chanel"- und „Louis Vuitton"-Emblemen. Die hochzylindrigen Limousinen summen leise am Spatenhaus vorbei zum Odeons-Platz und verschwinden nach Schwabing .

Ich probiere die weißblaue historische Bahn der „Linie 8"aus, die im hinteren Wagenteil einen offenen Freisitz mit Sperrgittern besitzt und komme mir vor wie in einer Cable-Bahn in San Franzisco. An der Isar bei der Praterinsel steige ich aus, weil dort Kilometer lang am Ufer des Münchner Nils jede Menge Buchläden und Buden wie zur Auerdult ganztags zum Bummel locken. Ich hatte mich immer schon gewundert, warum diese Ufer nicht längst genutzt wurden wie in Paris an der Seine oder in Salzburg an der Salzach. Ich sehe viele hübsche Mädchen, die mit verheißungsvollen Blicken auf dem Weg schlendern und Taschen tragen mit Vintage-Kleidern und Hüten gefüllt.

Einige der Schönheiten mit blonden Pferdeschwänzen treffe ich abends wieder in der Schwanthalterstraße, die sich zum Münchner Broadway entwickelt hat. Neben dem nagelneuen alten Deutschen Theater, wo einst neben dem Bühnen-Betrieb die größten Bälle stattfanden, gibt es eine Reihe kleiner Theater mit Live-Gastspielen bekannter deutscher Stars. Daneben haben zwei hypermoderne Multiplex-Kinos ihren Betrieb aufgenommen. Mit einer neuen Bekanntschaft schaue ich mir in einem der noch nach frischer Farbe riechenden Kino die 3-D-Fassung von „Krieg der Sterne" an. Neu ist: Man braucht keine Brillen. Die griechischen Früchte-Geschäfte und türkischen Koffer-Basars sind in die Seitenstraßen verschwunden. Nur elegante Elektronik-Geschäfte, Juweliere, Hotels , Restaurants und Cafes mischen bei dem neuen Kulturbetrieb auf der Schwanthaler Straße mit. Das "Deutsche Theater" verströmt den Haupt-Glanz. Auf dem Asphalt funkeln wie auf dem der Leopoldstraße, die wieder in den alten Zustand der einstigen Prachtstraße zurückgebaut wurde, winzige Glitzer-Steinchen, die am Abend die Fahrbahn erstrahlen lassen. München leuchtet bereits am Boden.

Ein ähnlicher Funkel-Boulevard verläuft vom Goetheplatz über die Mozartstrasse quer über die Theresienwiese und umarmt förmlich das bronzene Wahrzeichen „Bavaria", die immer bisher links liegengelassen wurde. Jetzt ist die hellerleuchtete, von weitem zu sehende Mutter Münchens die Krönung und die breite Straße mit ebenerdigen Geschäften und Restaurants, die um das Denkmal herumführt, ist zur Wiesn-Zeit integriert. Die weißblaue Liberty leuchtet einbezogen. Wieder huscht eine Traube jungend, eifrig schnatternden Japanerinnen an mir vorbei. Die Girls sind von Berlin mit dem Transrapid nach München gerauscht. Zwei Stunden Fahrzeit. Die nadeläugigen Mädchen wirken noch ganz verzaubert über diese technische Sensation, ein Zug, der nur ein zischendes Geräusch von sich gibt, wie ein Segelflugzeug in der Luft. Der „Rapid"-Spezial-Bahnhof befindet sich ganz in der Nähe im Untergrund, in dem sich inzwischen der Münchner Central-Bahnhof befindet. Mit eleganten Aluminium-Lifts gelangt man in den blau gestrichenen Transrapid, der auf Stelzen, die auf dem Mittelstreifen der Autobahn verankert sind, pfeilschnell und bequem mit 480 Stundenkilometern zur Bundeshauptstadt flitzt. Ich spüre den Luftzug und dann einen zarten Kuß auf der Wange. Ich schaue in zwei kirschschwarze Augen und sehe einen betörenden Mund.

Da wache ich plötzlich auf. Der Fernseher läuft noch. Auf dem Bildschirm das ultraspannende Programm, bei dem stundenlang vorbeifliegende Schienen gezeigt werden, von ganz stinknormalen Zügen., wohlgemerkt. Mir wird klar, ich habe nur geträumt von München, meiner Traumstadt. Schade.

Größter Maibaum der Welt: Büro- und Hotel-Turm am Stachus als mögliches neues Wahrzeichen Münchens.