70 LIEBESROTE ROSEN FÜR SUPERSTAR WILLY MICHL
MÜNCHEN - Schwabings Occamstrasse, wo einst im Ausgeh-Lokal „Nachteule“ (inzwischen weggeflattert) Musikus Peter Wörtmann der allererste Mann von Schauspielerin Hannelore Elsner war, gibt sich ungewöhnlich ruhig. Es ist 19.34 Uhr und im „Lustspielhaus“, Hausnummer 8, einer Boulevardbühne in den Händen von Münchens trickreichem Immobilien-Rebell Til Hoffmann, scheint Ruhetag zu herrschen. Rotweiße Bauzäune blockieren abweisend den Eingang des 200-Plätze-Theaters. Falscher Tag, falscher Termin? Nein, es der 9. Juli, der magischen Tag des runden Geburtstags von Münchens Crazy Horse Willy Michl, Bayerns Superstar, dem Isar-Indian, indigen und bei keiner Industrie an der Kette. Der Blues-Bonaparte rechnet indianisch 69 Sommer am 9. Juli 2019 alt geworden zu sein und wird heute bürgerlich 70 werden. Im Entree-Durchgang mit den Plakaten zur Linken für die nächsten Programme und einer durchgehenden Spiegelwand zur Rechten steht niemand. Aber als ich die Haupteingangstür aufziehe, platzt mir ein vollbesetztes Haus entgegen, mit disziplinierten Geräuschpegel. Willy Michl-Fans kommen anscheinend nie auf den letzten Drücker. Geradezu wollen sie sich sammeln für den musikalischen Leckerbissen.
Schon ein Stunde vorher haben die Besucher ihre Plätze eingenommen, nehmen Drinks und ein paar Snacks. Sie können da schon das „Ansitzen“ des Künstlers mit Ehe-Squaw Cora beobachten. Willy Michl benützt nie eine Künstlergarderobe und sitzt gleich im Publikum. Cora mit dem Fellini-Luxuskörper , eine Jessica Rabitt in wohllüstiger Ausführung, bemuttert in aller Publikumsöffentlichkeit Willy wie einen Pascha und ist auch Bestandteil des Bühnenbilds, wenn sie langsam ins Rampenlicht schreitet und dem Herrn mit Wasser den Durst verflüchtigen lässt.
Dreieinhalb Stunden dauert der Kraftakt zum Jubliäum auf der Bühne, der mit genialer Leichtigkeit wie Ballett erscheint. Mit ungekannten Songs am laufenden Band fasziniert Willy Michl selbst den harten Kern seiner Fangemeinde. Diesmal moderiert er weniger musikalisch untermalte Geschichten, die man auch so gern mag, aber das neue schlägt alles. Er baut das Publikum zum Mitsingen kaum mit ein, ein üblicher Kunstgriff, um die Stimmung zu steigern. Das braucht es alles heute Abend nicht. Treue-Statement und und eheliche Stärkung mischt Crazy Horse dennoch raffiniert hinein.
Sein absolutes Highlight bleibt sein Gitarrenalleingang wie ein Drummer Gene Krupa mit seinem berühmten Solo, der alles vulkanhaft hinausfetzt, und man glaubt ein ganzes Orchester vor sich zu haben. Mit seinen großen Händen bearbeitet er die Gitarre wie ein Freudenmädchen sanft und hart, entlockt die verrücktesten Töne und die Saiten werden hämmern und so schnell angegriffen, dass man sich nicht wundern würde, wenn sie reissen. Die Saiten reissen nicht, sondern erzeugen durch seine mächtige Handhabung den himmlischen Blues. Die Krönung ist der Moment, wenn durch seine Marlon-Brando-Lippen die Willy Michl-Exklusivität schlüpft. „Ois is Blues“ heißt es doch bei ihm und es kann durchaus sein, dass der weißblaue Indian an einem Sonntag geboren ist.
70 liebesrote Rosen schleppt eine Blondine auf die Bühne. Das einzige Zeichen für den runden Geburtstag eines großen eigenwilligen Entertainers Willy Michl und so sehr ich mir die Augen reibe, hab ich keinen Offiziellen aus dem Rathaus gesehen. Aber die hatten wahrscheinlich wegen Klimawandel, Klimaschutz, Umweltschutz, Abgas, und neuer Radwege keine Zeit. Besondere Menschen unserer Gegenwart werden leicht im leuchtenden München übersehen. Politische Mogelpackungen haben Vorrang. Frankreich müsste sich schämen mit ihrer neuen CO2-Steuer bei Flugreisen. Wer kassiert denn da wieder das Geld und wohin wird es verteilt. Brutto an die Wolken oder dem blauen Himmel selbst?