GISELA - EINE GEBILDETE DAME MIT STARK UNZÜCHTIGEM CHARAKTER

MÜNCHEN  -  Den besungenen Novak, der sie nie verkommen lassen wollte, gibt es schon lange nicht mehr. Die dazu gehörende Schwabinger Gisela (bürgerlich Jonas-Dialer), kein weißblaues Gwachs, aber für Wahnmoching so zugehörig wie die BB zu St. Tropez, hat ihre Lebhaftigkeit nicht eingebüßt. Die Nacht-Orchidee, die heute 85 Jahre alt wird, lebt im Werner-Friedmann- Haus am Viktualienmarkt, wo betagte Künstler eben nicht verkommen sollen.
Ihre Wohnung spiegelt Herz und Seele wider. An den Wänden hängen Werke von Münchner Maler Rupert Stöckl, mit dem sie befreundet war, der sich aber wenig aus Damen machte. Die silberhaarige Lady, die beim Gehen sich etwas schwer tut und eine Kehlkopf-Operation überstanden hat, blickt von ihrer Wohnung im ersten Stock auf die Fisch-Oase “Witte“ herunter, die oft Sehnsüchte weckt. Meeresfrüchte mag sie narrisch gern, vor allem Austern, an denen sich Gisela satt essen kann, wenn der ehemalige Stahlunternehmer Martin Glässel, Münchner Hausfreund von Ex-Kaiserin Soraya und Nachbar von Franz Josef Strauß, sie zum Lunch abholt.
Heute wird der halbrunde Geburtstag der legendären Barbesitzerin, einer „gebildeten Dame mit stark unzüchtigem Charakter“, wie es in ihrer Vita heißt, in Schwabing in der „Galerie Roucka“ zelebriert - einen Steinwurf entfernt von ihrem früheren Nightspot „Bei Gisela“ in der Occamstraße, wo eine krumme Laterne und Kerzenlicht-Beleuchtung zu den besonderen Merkmalen zählte, wenn sie sich mit ihrer rauchigen Stimme in die Gemüter einschlich. Immer eine Zigarette im Mundwinkel, heute kaum auszudenken.


1952 war Gisela die jüngste Wirtin Deutschlands, machte ihre musikalische „Tankstelle“ sehr schnell zu einer Institution. Sie begann, eine Seitenstraße weiter, bei der „Muttibräu“, einer resoluten Wirtin mit gefürchteten Zungenküssen, die sie aber nur Gästen verabreichte, die sie mochte. Ein buntes Völckchen stürmte Giselas Etablissement, jung und alt, arm und reich, unbekannt oder sehr bekannt wie Erich Kästner, Ruth Leuwerik, Soraya, Leonhard Bernstein, Franz Josef Strauß, Kirk Douglas oder Orson Welles. Udo Jürgens spielte am Klavier, als er sich noch in der Georgenstraße mit Thommy Hörbiger („17 Jahr blondes Haar“) und Frank Forster eine 1-Zimmer- Wohnung teilte, zwischen Giselas Auftritten und verdiente sich Taschengeld.


Die Verwandtschaft der Chansonsängerin ist klein. Wenn es wieder mal passt, dass Gisela zu ihrer Almhütte in Albach in Österreich fahren kann, macht sie einen Umweg zum Innsbrucker Friedhof, wo ihr Freund Sepp, ihr letzter Novak, und Bruder ihres verstorbenen Mannes, begraben liegt und schmückt die Urne mit einer Blume der jeweiligen Jahreszeit.